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Biblische Chronologie |
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"Chronologie ist wichtig. Ohne Chronologie ist es nicht möglich, die Geschichte zu verstehen, denn Chronologie ist das Rückgrat der Geschichte." Edwin R. Thiele[ 1 ]
Die alten Kulturvölker, die Ägypter, die Griechen, die Römer, haben Geschichte vorwiegend als Kreisläufe begriffen. In Anlehnung an die Zyklen der Natur hat man sie in Phasen von Blüte, Reife und Verfall eingeteilt. Diese Abläufe würden sich in immer neuen Zyklen wiederholen.[ 9 ] Die Bibel setzt dem seit dreieinhalbtausend Jahren ein lineares Geschichtsbild entgegen, das einen klar definierten Anfang hat und geradlinig auf ein Ende, ein Ziel hinsteuert. Damit hat das jüdisch-christliche Denken ein besonders klares Bewusstsein für Geschichte. Zwar haben auch viele andere Religionen Weltentstehungsgeschichten, aber keine hat einen Blick für das Ende der Welt.[ 10 ]
Israel ist das einzige Kulturvolk der Welt, das uns einen lückenlosen chronologischen Bericht seiner eigenen Geschichte gibt. Wer allerdings zum ersten Mal die Kapitel 5 und 11 des ersten Mosebuches liest, wird den dort aufgeführten Geschlechtsregistern kaum etwas Interessantes abgewinnen. Aber gerade diese Register machen deutlich, daß die berichteten Ereignisse geschehene Geschichte sind.
Die biblischen Zeitangaben sind insgesamt maßvoll und vernünftig, selbst bei den Urvätern der Menschheit. Zum Beispiel betrug nach den Angaben der Bibel das Durchschnittsalter der Menschen vor der Flut 912 Jahre[ 2 ]. Wenn man diese Angaben jedoch mit den Zehntausenden von Jahren der babylonischen Urkönige vergleicht, stellen sich diese Zahlen wirklich sehr nüchtern dar. Ein sumerischer Tontafeltext behauptet z.B.: "Als das Königtum vom Himmel herabkam, da war es zuerst in der Stadt Eridu. In Eridu ward Alulim König; er regierte 28.800 Jahre: Alalgar regierte 36.000 Jahre. Das sind zwei Könige mit 64.800 Regierungsjahren... " [ 3 ]
Addiert man in den Geschlechtsregistern der Genesis die Zeiträume bis zur Geburt der aufgeführten Söhne, so erhält man die Zeitspanne von der Schöpfung (genauer gesagt, von der Erschaffung Adams) bis zur Sintflut und von der Sintflut bis zu Abraham.
Das zeitliche Verhältnis mehrerer historischer Vorgänge zueinander nennt man relative Chronologie. Dabei wird in der Regel ein besonderes Ereignis mit einem bekannten Ereignis verknüpft. Solch ein Bezugsereignis war später zum Beispiel der Auszug aus Ägypten (1. Könige 6,1), der Tod eines Königs (Jesaja 6,1) oder ein Erdbeben (Amos 1,1). In der Königszeit setzte sich dann die Datierung nach dem Regierungsantritt des jeweiligen Königs durch, wie es bei den Nachbarvölkern üblich war.
Um die relative alttestamentliche Chronologie in eine absolute Chronologie umzuwandeln, benötigt man mindestens einen Fixpunkt, an dem die biblischen Angaben mit unabhängig überlieferten außerbiblischen Angaben zusammentreffen, deren Datum man genau angeben kann. Für das Alte Testament bietet die Schlacht von Karkar dieses Datum, das mit Hilfe assyrischer Aufzeichnungen und einer astronomisch datierbaren Sonnenfinsternis (15. Juni 763 v.Chr.) auf das Jahr 853 v.Chr. festgelegt werden kann, das Todesjahr des Königs Ahab von Israel.
Die Jahreszahlen im heutigen jüdischen Kalender beziehen sich auf die Erschaffung der Welt. Diese Chronologie ist im Mittelalter entstanden und geht von der Weltschöpfung am 7. Oktober 3761 v.Chr. aus. Auf dieses Datum kamen die Juden durch folgende Überlegung: Von Adam bis zum Auszug Israels aus Ägypten setzte man eine Zeitspanne von 2448 Jahren an und von da bis zur Zerstörung Jerusalems durch römische Truppen unter Titus noch einmal 1380 Jahre. Zusammen ergibt das 3828 Jahre. Den Fall Jerusalems legte man auf das Jahr 68 n.Chr. (richtig wäre 70 n.Chr. gewesen), so daß die Welt genau 68 - 3828 = 3760 Jahre vor Christi Geburt entstanden sein mußte. Wegen des Jahr-Null-Problems unserer Zeitrechnung muss noch ein Jahr addiert werden und man erhält das Jahr 3761 v.Chr. als das Jahr der Erschaffung der Welt. Weil alle geschichtlichen Vorgänge zu diesem Datum in Beziehung gesetzt werden, handelt es sich um eine absolute Chronologie.
Aber auch die christliche Zeitrechnung[ 4 ], die von dem "Jahr der Menschwerdung des Herrn", also der Geburt von Jesus Christus ausgeht und von diesem Zeitpunkt aus sowohl die vorherigen als auch die späteren Ereignisse einordnet, ist eine absolute Chronologie.
Das in den alttestamentlichen Genealogien verwendete hebräische Wort für "zeugen" oder "gebären" YALAD kann im direkten oder übertragenen Sinn gebraucht werden. In 1. Mose 46,18 hat das Wort eine übertragene Bedeutung: "Das sind die Söhne der Silpa, die Laban seiner Tochter Lea gegeben hatte; und sie GEBAR diese dem Jakob, sechzehn Seelen." Wir wissen, daß einige davon Enkel waren. Ein klassisches Beispiel ist auch Matthäus 1,8: "Joram aber ZEUGTE Usia". Tatsächlich war Usia der Ururenkel Jorams, wie wir aus dem AT wissen. Ähnlich ist es mit dem biblischen Gebrauch des Wortes Sohn. Wenn Josef, der Pflegevater von Jesus, ein "Sohn Davids" genannt wird (Matthäus 1,20), heißt das weiter nichts, als dass Josef ein Nachkomme Davids war.
In neutestamentlicher Zeit wurde das Alte Testament hauptsächlich in Form der Septuaginta (LXX), seiner griechischen Übersetzung, benutzt. Jesus zitierte daraus, die Apostel benutzten sie weitgehend, einige neutestamentliche Verfasser benutzten sie sogar ausschließlich. Es gibt Stellen wie Apg 15,17 (wo Amos 9,12 zitiert wird), an denen der neutestamentliche Wortlaut sich vollkommen vom Masoretischen Text (MT), dem überlieferten Hebräischen Text, unterscheidet. Das könnte bedeuten, daß an einigen Stellen die LXX den originalen Wortlaut bewahrt hat. Wenn man allerdings die Genealogie von Adam bis Abraham im MT und in der LXX vergleicht, ergeben sich bei den meisten Personen Differenzen von 100 Jahren.[ 5 ] Nach den Zahlen der LXX müsste Metuschelach die Sintflut um 14 Jahre überlebt haben. Das kann nach den Aussagen der Bibel aber nicht der Fall sein.
Manchmal scheinen sich biblische Zeitangaben zu widersprechen. So steht in 2. Chronik 16,1: "Im 36. Regierungsjahr Asas baute König Bascha von Israel die Stadt Rama zur Festung aus." Nach 1. Könige 16,6.8 war Bascha damals aber schon 10 Jahre tot. Die Spannung kann dadurch aufgelöst werden, dass man entweder annimmt, dass hier das 36. Jahr des Königreiches Juda gemeint ist, oder dass es sich um einen Abschreibfehler handelt, wobei die Vorlage die Zahlen als numerische Zeichen stehen hatte, die man im Althebräischen leicht verwechseln konnte. Es müsste dann heißen: "Im 16. Regierungsjahr Asas". Meist gibt es mehrere Möglichkeiten, solche innerbiblischen Differenzen sinnvoll zu erklären.
In 1. Könige 6,1 wird berichtet: "Im April des vierten Jahres, in dem Salomo über Israel regierte – es war das 480. Jahr nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten –, begann der König das Haus für Jahwe zu bauen." Es ist allgemein anerkannt, dass der Grundstein für den Tempel im Jahr 966 v.Chr. gelegt wurde. Dann wäre der Auszug der Israeliten aus Ägypten im Jahr 1446 v.Chr. erfolgt. Dieses Datum wird von einer Aussage Jiftachs in Richter 11,26 bestätigt, wo dieser von 300 Jahren spricht, in denen Israel in dem Land wohnte, das früher den Ammonitern gehörte. Das Problem bei dieser sogenannten Frühdatierung des Auszugs ist, dass die in der Bibel erwähnten Jahre zwischen den 1446 und 966 v.Chr. eine höhere Summe als 480 ergeben. Man erklärt das so, dass in der Richterzeit einige Richter nur regionalen Einfluss hatten, sodass sich die Wirkungszeiten manche Richter überlappten.
Andere setzen den Auszug aus Ägypten aus archäologischen Gründen (z.B. Bau der Stadt Ramses) um das Jahr 1260 v.Chr. an (Spätdatierung). Das bringt freilich noch mehr Probleme mit der Richterzeit.
Neuerdings wird auch eine extreme Frühdatierung des Exodus im Jahr 1606 v.Chr. befürwortet, die sich allein aus biblischen Angaben ergeben soll.[ 7 ]